Publikation zu politischen Einstellungen zu Finanzpolitik, Steuern und Gerechtigkeit

Mehr Umverteilung wagen

Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise, wachsende soziale Ungleichheit sowie Klimawandel und sozialökologische Transformation – an Herausforderungen mangelt es derzeit kaum. Doch: Wer soll das bezahlen?

Gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung haben wir erforscht, wie Bürger*innen darüber denken – welches Wissen zur staatlichen Finanzierung besteht und was mit Blick auf die finanzielle Ungleichheit in Deutschland als gerecht empfunden wird. Die vollständige Studie finden Sie hier.

Aufdecken, wie Menschen über Staatsfinanzen und Steuern sprechen und denken

Um vorhandenes Wissen und Argumentationen aufzudecken, haben wir im November 2022 sechs Fokusgruppen durchgeführt. Dabei diskutierten wir mit Personen ohne oder mit geringem erwartetem oder erhaltenem Erbe, dann mit Menschen mit überdurchschnittlich hohem Erbe und schließlich in zwei heterogen-zusammengesetzten Gruppen, um unterschiedliche Perspektiven einzufangen. Darauf aufbauend wurde im Januar 2023 eine quantitative Bevölkerungsbefragung mit 2.140 Personen durchgeführt. Die Grundgesamtheit war die wahlberechtigte Bevölkerung ab 18 Jahren.

Leistungsversprechen ja, Gerechtigkeit nein

Trotz Krisenstimmung: 58% der Bürger*innen glauben weiterhin an das Leistungsversprechen – wer hart genug arbeitet, kann in Deutschland auch etwas erreichen. Die negative Kehrseite: Für viele Bürger*innen folgt daraus, dass diejenigen, die nichts erreichen, selbst daran schuld sind. Gerade in der Krise grenzt man sich „nach unten“ ab und distanziert sich von denen, denen es schlechter geht.

Wenig positiv sieht es auch mit der Gerechtigkeit in Deutschland aus. Nur 43% der Bürger*innen stimmen zu, dass es in Deutschland alles in allem gerecht zugeht. Insbesondere das Versprechen, dass es kommenden Generationen einmal besser gehen wird, gilt in den Augen der meisten Bürger*innen nicht mehr.

Der Staatshaushalt als Blackbox – ohne Gestaltungspotenzial

Auch das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Politik ist auf einem Tiefpunkt. Nach Wahrnehmung der Befragten scheitert die Umsetzung politischer Entscheidungen allzu oft an bürokratischen Prozessen oder politischem Versagen – nicht am Geld. Selbst große Herausforderungen wie der Klimaschutz werden so nicht per se als Finanzierungsproblem wahrgenommen. Des Weiteren besteht kaum Wissen über den Staatshaushalt sowie Bewusstsein für die finanzierten Leistungen. Entscheidungen zu Finanzfragen werden so nicht als Entscheidungen verstanden, sondern oft als „Verwaltungsakt“.

Ja zu einer solidarischen Lastenverteilung und Umverteilung

Ein klares Bild zeigt sich dagegen bei der Frage der Lastenverteilung. Mit 78% stimmt die überwiegende Mehrheit der Bürger*innen zu, dass starke Schultern mehr tragen können – und Reiche sich stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligten sollten. Gleichzeitig zeigen vor allem die Fokusgruppen, dass es in der Diskussion um mögliche Veränderungen kein allgemeingültiges Gerechtigkeitsverständnis gibt und Forderungen nach Gerechtigkeit eben nicht in konkrete Forderungen an steuer- und finanzpolitischen Maßnahmen übersetzt werden.

Das Wissen zu Steuern und Finanzen ist gering – und erschwert Positionierungen

Die „Financial Literacy“ ist insgesamt gering. Daraus resultieren nicht nur widersprüchliche Einstellungsmuster, sondern auch politische Hürden für steuer- und finanzpolitische Forderungen, z. B. im Gespräch über die unterschiedliche Besteuerung von Vermögen und Kapital. Die Mehrheit weiß beispielsweise nicht, dass in Deutschland derzeit keine Vermögensteuer erhoben wird. Über Eigenschaften des Steuersystems und damit auch Veränderungsvorschläge ist wenig bekannt. Fehlendes Wissen verunsichert: Mehr als die Hälfte der Bürger*innen findet es schwierig, zu beurteilen, was beim Thema Steuern und Finanzen gerecht und was ungerecht ist. In der Folge meidet man solche Diskussionen lieber.

Dennoch: Die derzeitige Besteuerung von Kapital und Vermögen wird als ungerecht empfunden

Gestützt mit Informationen zeigen sich in der repräsentativen Befragung aber durchaus Positionen – etwa ein deutliches Ungerechtigkeitsempfinden bei der ungleichen Erbschaftsteuer oder der unterschiedlichen Besteuerung von Kapital und Arbeit. Und ebenso steht fest, dass eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich ein Problem für den sozialen Frieden darstellt.

Und nun?

Gerade in Krisenzeiten werden vor allem Staatsausgaben zum Gegenstand von Verteilungsfragen – nicht die Einnahmenseite. Um Akzeptanz für Mehreinnahmen zu stärken, muss die Zielkommunikation in den Vordergrund rücken. Denn: Steuern sind kein Selbstzweck. Auch da aktuell wenig Gestaltungspotenzial gesehen wird, ist die Verdeutlichung des Zwecks und die Abbildung konkreter Mehrwerte für Bürger*innen umso wichtiger.

Gerade in der Diskussion konkreter Steuerinstrumente zeigen sich immer wieder diffuse Ängste vor eigener Betroffenheit – auch wenn diese objektiv wenig realistisch ist. Klar ist auch: Die geringe Financial Literacy behindert die eigene Positionierung sowie die Auseinandersetzung mit dem Thema – und macht anfällig für finanzpolitische Mythen und Halbwahrheiten.