Wissenschaftliche Informationen genießen großes Vertrauen, wenn es darum geht, sich über (Un-) Wahrheiten zu informieren. Neben Fernsehen, Zeitungen und Zeitschrift ist YouTube einer der wichtigsten Kanäle über den Bürger*innen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen in Berührung kommen. Unsere Studie im Auftrag der Medienanstalten Berlin-Brandenburg, der Senatskanzlei Berlin, der Landesanstalt für Medien NRW und der Medienanstalt Rheinland-Pfalz zeigt, dass ein Großteil der Nutzer*innen zwar ein Bewusstsein für journalistische Sorgfaltskriterien besitzt, den Unterschied zwischen sorgfältigem Wissenschaftsjournalismus und gezielter Desinformation aber nicht erkennt.
Desinformation vs. Meinungsvielfalt
Wissenschaft stößt in Deutschland auf großes Interesse und genießt weitgehendes Vertrauen, wenn es darum geht, sich über (Un-)Wahrheiten zu informieren. Den Zugang zu wissenschaftlichen Informationen finden Bürger*innen zumeist über den sogenannten Wissenschaftsjournalismus, der damit eine Vermittlerrolle zwischen Wissenschaftler*innen und Laien einnimmt. Dabei gibt es weitreichende Unterschiede bei der Qualität der Beiträge sowie gezielte Desinformation mit interessengeleiteter Absicht. Insbesondere Social Media Plattformen, wie YouTube bieten Raum für Darstellungen wissenschaftlicher Ergebnisse jenseits der journalistischen Sorgfaltspflicht und werden dort für ein Millionenpublikum zugänglich. Das kann der Verbreitung von Desinformationen dienen und damit die Öffentlichkeit in unserer Demokratie schwächen. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg verfolgt den Auftrag zur Erhaltung von Meinungsvielfalt engagiert sich unter anderem gegen Desinformationen. Sie hat uns daher gemeinsam mit der Senatskanzlei Berlin, der Landesanstalt für Medien NRW und der Medienanstalt Rheinland-Pfalz beauftragt, die Nutzung und Wahrnehmung von Wissenschaftsjournalismus auf YouTube zu untersuchen.
Jede*r Fünfte präferiert YouTube gegenüber anderen Informationsmöglichkeiten
Neben Fernsehen, Zeitungen und Zeitschrift ist YouTube einer der wichtigsten Kanäle über den Bürger*innen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen in Berührung kommen. Vor die Wahl gestellt, über welchem Weg man sich zu einem wissenschaftlichen Thema am ehesten informieren würde, präferiert jede*r Fünfte ein YouTube-Video gegenüber anderen Informationsmöglichkeiten. Beliebter sind nur Reportagen oder Dokus im Fernsehen. Jüngere und Nutzer*innen mit hoher formaler Bildung nutzen wissenschaftliche Videos auf YouTube besonders häufig. Auch Nutzer*innen, die der Wissenschaft skeptisch gegenüberstehen, schauen bei entsprechendem Interesse häufig wissenschaftliche Videos auf YouTube. Das breite Themenspektrum auf YouTube führt bei 58 % aller Nutzer*innen dazu, sich auch bei wissenschaftlichen Themen zunächst dort zu informieren. Der unaufwändige Zugang und die verständliche und komplexitätsreduzierte Aufarbeitung der Videos werden als weitere Gründe benannt, warum YouTube anderen Medien vorgezogen wird
Hohe Glaubwürdigkeit auch bei nicht-sorgfältigen Wissenschaftsvideos
Den Befragten wurde jeweils ein positives und ein negatives Beispiel für ein Wissenschaftsvideo bei YouTube präsentiert. Im Negativbeispiel werden zwar Quellen genannt, die Quellenlage zum Thema wird jedoch verzerrt dargestellt. Die präsentierten Quellen und Aussagen stehen im Widerspruch zum wissenschaftlichen Konsens. Grafiken und Statistiken werden verkürzt und verzerrt interpretiert. Meinung und Information sind nicht klar getrennt. Ein Großteil der Befragten hat das Negativbeispiel jedoch als tendenziell glaubwürdig eingeschätzt (5,9 auf einer Skala von 0-10 ) und schneidet damit nur etwas schlechter ab, als das Positivbeispiel (6,4). Nur jede*r Vierte bewertet das Negativbeispiel als nicht glaubwürdig. Dabei zeigte sich, dass Medienvertrauen und Vertrauen in Wissenschaft dabei helfen, zwischen sorgfältigen und nicht-sorgfältigen Videos zu unterscheiden. Oftmals führen die Befragten subjektive Kriterien an, durch die sie wissenschaftliche Videos bewerten, es fehlt hierbei an Hintergrundwissen zur Sorgfaltspflicht. Für die Bewertung der Glaubwürdigkeit sind für viele Befragte auch soziale Informationen, wie die Kommentare oder die Anzahl der Klicks, Likes und Dislikes der Videos hilfreich.
Einhaltung journalistischer Sorgfaltspflicht und Förderung von Nachrichten- und Informationskompetenz wichtig für die freiheitliche Medienordnung
30 Prozent der Befragten lassen sich von ihrer ursprünglichen Ansicht, durch die Kernbotschaft des Negativbeispiels vom Gegenteil ihrer zuvor geltenden Ansicht überzeugen oder zweifeln zumindest nach Ansehen des Videos daran. Diese betrifft besonders Jüngere, Befragte mit niedrigerem Bildungsstand sowie niedrigem Medienvertrauen. Sie lassen sich von der bloßen Nennung zahlreicher Quelle von der Wissenschaftlichkeit der dargestellten Ergebnisse überzeugen. Die von YouTube selbst angebotenen Hinweise unter Videos, die bei der Einordnung helfen sollen, werden von einem großen Teil der Nutzer*innen entweder nicht gesehen oder auch nicht richtig interpretiert. Mabb-Direktorin Dr. Eva Flecken sagte dazu: „Im Kampf gegen Desinformation und für einen demokratischen Diskurs spielt das Einordnen wissenschaftlicher Inhalte eine zentrale Rolle. Die Studienergebnisse zeigen dennoch sehr klar, dass dieses kritische Hinterfragen keine Selbstverständlichkeit ist. Das hat reale Folgen. Meinungen werden zu Fakten, Falschmeldungen zu Information. Umso wichtiger ist es, durch die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflichten und die Förderung von Informations- und Nachrichtenkompetenz die freiheitliche Medienordnung zu stärken und Nutzer*innen zu befähigen, den inneren ‚Vertrauens-Kompass‘ zu stabilisieren.“
4 Fragen an Leonie Schulz von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg
Repräsentative Online-Befragung auf der Grundlage explorativer Tiefeninterviews
Im August 2021 hat die Medienanstalt Berlin-Brandenburg gemeinsam mit der Senatskanzlei Berlin, der Landesanstalt für Medien NRW und der Medienanstalt Rheinland-Pfalz einen Forschungsauftrag zur „Nutzung und Wahrnehmung von Wissenschaftsjournalismus auf YouTube“ ausgeschrieben. Das Forschungsdesign zur Online-Befragung war weitestgehend von den Auftraggeber*innen vorgegeben, durfte aber durch qualitative Elemente ergänzt werden. Wir hielten es für sinnvoll, der Befragung, explorative Tiefeninterviews voranzustellen, um einen fundierten Fragebogen zu erstellen, der alle Kriterien abdeckt, die für den Forschungsauftrag relevant sind. Zunächst mussten wir sondieren, woran sich Videos eines „guten/ sorgfältigen“ und eines „schlechten/ nicht-sorgfältigen Wissenschaftsjournalismus“ festmachen lassen und daraufhin forschungsadäquate Beispiele recherchieren. Dieser und alle folgenden Schritte wurde gemeinsam mit der mabb iterativ so lange bearbeitet, bis ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt wurde. Die 15 Teilnehmer*innen der explorativen Interviews wurden so ausgewählt, dass sie mit Blick auf Alter, Geschlecht, Bildung sowie niedrigem und hohen Vertrauen in die Wissenschaft und unterschiedlicher Mediennutzung einen guten Mix ergaben. Die leitfadengestützten Einzelinterviews haben uns Einblicke in die individuellen Recherchewege zu einem Thema und die Auswahlentscheidung für oder gegen ein bestimmtes Video verschafft. Wir haben viel über den Informationsprozess zu wissenschaftlichen Themen gelernt und auch Bewertungskriterien evaluiert, die zuvor nicht direkt ersichtlich waren. Auch die Beispielvideos konnten nach den Rückmeldungen in den Interviews nochmal angepasst werden. So konnte die Qualität des Fragebogens für die Onlinebefragung perfekt auf die Anforderung der Forschungsfrage angepasst werden. Mit einer repräsentativen Quotenstichprobe der deutschsprachigen Wohnbevölkerung in Deutschland ab 14 Jahren, die in den letzten 3 Monaten das Internet genutzt hat, wurden in der Zeit vom 26. November bis 23. Dezember 2021 3.370 Personen befragt.
Über die Medienanstalt Berlin-Brandenburg
Die mabb ist die gemeinsame Medienanstalt der Länder Berlin und Brandenburg. Im Zusammenspiel relevanter Regulierung und nachhaltiger Förderung setzt sie sich für die Sicherung der Medienvielfalt ein. Dabei unterstützt die mabb Lokaljournalismus, engagiert sich gegen Desinformation und stärkt die Informations- und Nachrichtenkompetenz von Nutzer*innen aller Generationen – für den selbstbestimmten, kritischen Umgang mit Medien und einen fairen demokratischen Diskurs. Mit ihren Einrichtungen ALEX Berlin und dem Medieninnovationszentrum Babelsberg (MIZ) ermöglicht die mabb Partizipation, schafft Aus- und Weiterbildungsangebote und fördert Innovationen für Medien in der Region.