Vergessene Generation? Einsamkeit unter Jugendlichen und ihre Folgen

Neben Risikogruppen, die um ihre Gesundheit bangen mussten und Eltern, die Arbeit und Kinderbetreuung unter einen Hut bringen mussten, hat die Pandemie vor allem Kinder und Jugendliche hart getroffen. Plötzlich wurde von dieser jungen Generation verlangt, dass sie von zu Hause am Schulunterricht teilnimmt, Sport- und Vereinsleben wurden heruntergefahren und soziale Kontakte mit Gleichaltrigen von heute auf morgen stark eingeschränkt.

Einsamkeit ist kein neues Phänomen, auch nicht unter jungen Menschen. Doch die Pandemie und die unternommenen Maßnahmen zum Schutz der Risikogruppen haben ihre Spuren bei dieser Generation hinterlassen. Im Auftrag des Progressiven Zentrums haben wir daher untersucht, wie verbreitet Einsamkeit unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland ist und welche gesamtgesellschaftlichen Folgen hieraus entstehen können. (Die Studie mit den Ergebnissen ist hier zu finden.)

Wir kommen zu dem Ergebnis, dass Einsamkeitsgefühle unter Jugendlichen während der Covid 19-Pandemie zugenommen haben und ein leichter Zusammenhang zwischen Einsamkeit und autoritären Einstellungen sowie Nähe zu Verschwörungserzählungen besteht.

Mehrstufiges Studiendesign schafft Zugang zur Zielgruppe und zum sensiblen Thema „Einsamkeit“

Ziel der Studie war es, den Blick auf die Gründe, aber auch die Konsequenzen von Einsamkeit unter Jugendlichen und jungen Menschen zu richten. Im Fokus stand dabei die Ergründung des Zusammenhangs zwischen intensiven Einsamkeitserfahrungen und der Abkehr von unserer Gesellschaft, ihren Grundwerten und Normen.

Dafür hat pollytix ein mehrstufiges Forschungsdesign mit qualitativen und quantitativen Methoden entwickelt.

Nicht über junge Menschen sprechen, sondern mit ihnen

Allzu oft wird über Zielgruppen gesprochen, anstatt mit ihnen. Während quantitative Befragungen belastbare Zahlen liefern, schaffen es qualitative Methoden, diese „mit Leben zu füllen“. Aus diesem Grund haben wir zunächst zehn Tiefeninterviews mit einsamen Jugendlichen geführt. Dadurch konnten wir ein Gefühl für die Zielgruppe gewinnen und ihre Sorgen und Nöte besser verstehen. Die Tiefeninterviews wurden ergänzt durch zwei Fokusgruppen mit einsamen Jugendlichen, die eine Nähe zu Radikalisierungs- bzw. Verschwörungserzählungen aufwiesen.

Krise als Normalzustand und voranschreitende Individualisierung

Unsere qualitative Stufe zeigt: Der „Krisenmodus“ wird von vielen einsamen Jugendlichen bereits als „Normalzustand“ wahrgenommen. Und dies hat Auswirkungen auf ihre Einstellungen und letztlich auch ihr Verhalten. Viele junge Einsame reagieren darauf mit einem Rückzug ins Private.

Ähnliche Tendenzen zeigen sich auch im Gesellschaftsbild einsamer Jugendlicher. Es fällt vielen schwer, überhaupt etwas mit dem Begriff der „Gesellschaft“ anzufangen. Hier lassen sich Individualisierungstendenzen feststellen – eine Solidargemeinschaft besteht nach Ansicht der meisten einsamen Jugendlichen nicht. Auch der Blick auf Politik fällt eher negativ aus und so verwundert es nicht, dass einsamen Jugendlichen eine politische Positionierung häufig schwerfällt.

Einsame und nicht-einsame Jugendliche im Vergleich

Abschließend haben wir eine repräsentative Befragung unter 16 bis 23-Jährigen durchgeführt. Die Stufe diente der Validierung der Ergebnisse aus der qualitativen Stufe. Während in der qualitativen Stufe nur die einsamen Jugendlichen im Fokus standen, wurde in der quantitativen Befragung ein Querschnitt aller Jugendlichen betrachtet.

Durchaus alarmierend ist, dass mehr als die Hälfte der Befragten angaben, sich durch die Corona-Pandemie häufiger einsam gefühlt zu haben. Die Politik sehen junge Menschen dabei nicht als Problemlöser. Zu oft werden ihrer Ansicht nach die Perspektiven junger Menschen bei aktuellen Krisen wie der Pandemie oder dem Klimawandel vernachlässigt.

Allgemein fällt die Demokratieunterstützung niedrig und die Politikverdrossenheit hoch aus. Speziell unter Einsamen zeigte sich häufigere Akzeptanz für Gewalt gegen Politiker*innen.

Alarmsignale erkennen, Maßnahmen ergreifen

Die Studie zeigt, wie verbreitet Einsamkeit unter Jugendlichen in Deutschland ist und welche gesamtgesellschaftlichen Folgen daraus resultieren können. Gruppen wie „Fridays for Future“ oder die „Letzte Generation“ zeigen das politische Interesse dieser Altersgruppe. Gleichzeitig fühlen sich viele nicht von der Politik gesehen und sind unzufrieden mit der Demokratie und den Parteien. Im Zusammenhang mit Einsamkeit kann hieraus ein demokratiegefährdendes Potenzial entstehen.