Deutsche und Israelis: Eine Beziehung in der Entwicklung

Die deutsch-israelische Beziehung ist in vielerlei Hinsicht eine besondere – kulturell, wirtschaftlich und politisch. Es gibt eine lange gemeinsame Geschichte, die durch den nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden vor knapp 80 Jahren belastet ist. Seit 1965 arbeiten Deutschland und Israel wieder zielgerichtet daran, die gemeinsame Vergangenheit aufzuarbeiten und an der alten Verbundenheit anzuknüpfen. Zu dem Verhältnis der israelischen Bevölkerung zu den Deutschen und andersherum gibt es seit 1991 regelmäßige Meinungsumfragen, die seit 2007 von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegeben werden. Wir hatten 2021 die Ehre, diese historisch gewachsene, repräsentative Befragungen in Deutschland und Israel für die Gegenwart zu justieren und durchzuführen.

Die gesamte Studie finden Sie hier.

 

 

Meinungsumfrage mit Vergleichbarkeit über Jahrzehnte

Bereits 1991 – knapp 50 Jahre nach der einschneidenden Wannsee-Konferenz – beauftragte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel eine telefonisch durchgeführte repräsentative Befragung von 3.000 deutschen Bundesbürger*innen und 1.000 jüdischen Staatsangehörigen aus Israel zur Einstellung beider Bevölkerungen zueinander. Ein Jahr später erschienen die Ergebnisse der Studie in einem Spiegel-Spezial mit dem Titel „Mehr verdrängt als bewältigt“. Die Bertelsmann Stiftung, die sich seit ihrer Gründung vor 45 Jahren für die Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehung einsetzt, nutzte diese Spiegel-Studie, um darauf aufbauend 2007 und 2013 selbst Studien zur gegenseitigen Wahrnehmung in Auftrag zu geben. In der Studie „Deutsche und Juden – Verbindende Vergangenheit, trennende Gegenwart?“ wurde die Befragung im Jahr 2007 auf in den USA lebende Jüd*innen ausgeweitet, so dass 1.004 Deutsche, 1.015 Israelis und 500 Menschen aus den vereinigten Staaten telefonisch befragt wurden. Viele Fragen wurden dabei aus der Spiegel-Umfrage 1:1 übernommen, damit ein Vergleich über die Jahrzehnte möglich und Trends erkennbar werden. Äquivalent dazu wurden 2013/14 in der Studie „Deutschland und Israel heute – Verbindende Vergangenheit, trennende Gegenwart?“ 1.000 Deutsche und 1.001 israelische Jüd*innen auf gleiche Weise befragt, wobei das Fragenspektrum zum Teil erweitert wurde.

 

Historische Fragen in der Gegenwart

Auch 2021 stellte sich die Frage, wie sich das deutsch-israelische Verhältnis weiterentwickelt hat. Allerdings stehen repräsentative Erhebungen methodisch heute vor anderen Herausforderungen als vor zehn und mehr Jahren. Insbesondere in Israel, einem demografisch wesentlich jüngeren Land als Deutschland, erreichen wir jüngere Zielgruppen kaum noch telefonisch, während viele ältere nur per Telefon befragt werden können. Daher haben wir die Befragung so konzipiert, dass sie in Deutschland ausschließlich online und in Israel hybrid stattfand. Für Online-Erhebung mussten wir die Fragen anpassen. In einer qualitativen Vorstufe wurde evaluiert, dass einige Fragen zu Verständnisschwierigkeiten führten. Dementsprechend wurde der Inhalt der Befragung so bearbeitet, dass er zur heutigen Zeit passt, gleichzeitig aber möglichst nah an den damaligen Formulierungen blieb, da die Vergleichbarkeit von zentraler Bedeutung ist. Eine weitere Neuerung gegenüber den Vorgängerstudien ist die Integration der arabischen Bevölkerung in die Stichprobe, um ein repräsentatives Bild der israelischen Bevölkerung zu erhalten. Da bisher ausschließlich Jüd*innen befragt wurden, haben wir die Umfrage neben Deutsch und Hebräisch, auf Arabisch und Russisch übersetzen lassen, um die 20 Prozent der arabischen Bevölkerung zu erreichen. Für die Durchführung der Befragung in Israel hatten wir Unterstützung von New Wave Research aus Tel Aviv.

 

Ein Viertel der Deutschen zeigen antisemitische Denk- und Einstellungsmuster

Die Analyse und Bewertung der Ergebnisse wurde von Prof. Stephan Stetter von der Universität der Bundeswehr München, Dr. Jenny Hestermann von der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und Dr. Roby Nathanson vom Macro Center for Political Economics in Israel durchgeführt. Aus den evaluierten Daten entwickelten sie ein gegenseitiges Meinungsbild der deutschen und israelischen Bevölkerung. Zum ersten Mal wurden dabei auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jüdischen und arabischen Israelis in den Blick genommen. Anhand der Daten konnten die Wissenschaftler*innen beispielsweise feststellen, dass israelische Araber*innen nicht zwangsläufig einen Widerspruch zwischen ihrer arabisch-palästinensischen und ihrer israelischen Identität sehen. Selbst unter den mehrheitlich arabischen Unterstützer*innen des Parteienbündnisses Vereinigte Arabische Liga wünschen sich knapp 40 Prozent eine deutsche Unterstützung vor allem Israels oder beider Seiten gleichermaßen (vgl. S. 39). Angesichts zuletzt vermehrt auftretender antisemitischer Vorfälle in Deutschland, wie die Beschädigung von Holocaust-Mahnmalen oder Anti-Israel-Demonstrationen, wurden auch zugehörige Einstellungsmuster in den Blick genommen. 20 bis 30 Prozent der Deutschen zeigen Denkweisen und Einstellungen, die dem Antisemitismus zugeordnet werden können. Bemerkenswert sei, nach Auffassung der Wissenschaftler*innen, dass die Hälfte der Deutschen „den Antisemitismus in Deutschland nur für ein kleines oder sehr kleines Problem hält, gleichzeitig eine Mehrheit der Befragten aber eine Zunahme des Antisemitismus in den letzten fünf Jahren in Deutschland zu beobachten glaubt“ (S. 51). Hieran zeige sich, dass Antisemitismus weiterhin eine Herausforderung für die deutschen Gesellschaft bleibt.

Weitere Informationen und die gesamten Studienergebnisse finden Sie hier.
Hier finden Sie ein Interview mit Stephan Vopel, Direktor der Bertelsmann-Stiftung und Israel-Experte zu den Ergebnissen der Studie im RBB.

 

Über die Bertelsmann Stiftung

Die Bertelsmann Stiftung setzt sich seit ihrer Gründung 1977 für gesellschaftliche Teilhabe ein – politisch, wirtschaftlich und kulturell. Zu ihrem Themenprogramm gehören: Bildung und Next Generation, Demokratie und Zusammenhalt, Digitalisierung und Gemeinwohl, Europas Zukunft, Gesundheit sowie Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft. Dabei stellt die Bertelmann Stiftung die Menschen in den Mittelpunkt ihres Tuns und erschließt Wissen, vermittelt Kompetenzen und erarbeitet Lösungen.